Currentzis!

Teodor CurrentzisCurrentzis! Kein Name in der Klassikwelt polarisiert heute derart, und keiner erzeugt, kaum ausgesprochen,
augenblicklich!
so!
viel!
Aufmerksamkeit!

Deshalb steht er auch über dieser Kolumne.

Der Name zog erstmals um 2010 weitere Kreise, als die DVDs mit Wozzeck und Macbeth, damals noch beim Label BelAir, erschienen und er bei den Bregenzer Festspielen die Oper „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg dirigierte. Richtig los ging es aber erst, als Sony mit Teodor Currentzis einen Exklusivvertrag abschloss und mit ihm als erstes Grossprojekt die drei Da Ponte-Opern von Mozart produzierte. Für das Label, das den gut aussehenden Griechen mit aller Macht pusht, hat sich die Zusammenarbeit zu einer Bonanza entwickelt. Das bekommt auch der SWR zu spüren, wo Currentzis ab kommenden September als Chefdirigent des Sinfonieorchesters wirkt. Dem Vernehmen nach muss der Rundfunk die Rechte an seinen eigenen Aufnahmen mit der Plattenfirma teilen.

Ohne Zweifel ist Currentzis ein Ausnahmemusiker, doch zu einem Hype, wie er um seine Person tobt, braucht es mehr. Neben der geschickten Propaganda seines Labels ist das vor allem den Medien zuzuschreiben, die sich ihn zu Beute gemacht haben. Die schnelle Erregbarkeit in den Internetforen wirkt dabei als Resonanzverstärker.

Schon der Auftritt der Musiker als Pseudomönche in schwarzen Kutten spaltet die Klassikgemeinde: Zeichen von Spiritualität oder Show? In den Kritiken liest man von den grellen Kontrasten und willkürlichen Temposchwankungen, aber auch von einer aufregend neuen Sicht auf die Werke. Oder: Die Partituren würden einem entgegenschreien wie die Schlagzeilen der „Bild-Zeitung“. Das Spektrum der Zuschreibungen reicht von gewöhnungsbedürftig bis existenziell packend, von durchgeknallt bis göttlich, von Schwadroneur bis leidenschaftlicher Gestalter. Die Schlachten, die nach einem Currentzis-Konzert in den Feuilletons geschlagen werden, verlagern sich anschliessend in die Social Media, wo Fans und Gegner aufeinander losgehen.

Das alles ist Gratiswerbung und treibt die Verkaufszahlen nach oben. So entsteht eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Currentzis und seinen Musikern nutzt es für die Karriere, die Kritik hat endlich wieder Leser, das Publikum seinen Spass und bei Veranstaltern und Plattenlabel klingeln die Kassen. Inzwischen ist Currentzis, zu dessen optischem Erscheinungsbild das numinose Dreivierteldunkel gehört, auch als Markenbotschafter in der  Kosmetikbranche aktiv geworden und wirbt für ein Parfüm, das Flacon für 390 Euro. Die limitierte Auflage ist aber bereits ausverkauft. Für viele ist das eine unerwartete Sensation mit Gerüchlein. Aber Sensationen, welcher Art auch immer, sind gut fürs Geschäft, und so hält sich der Klassikbetrieb mitsamt seinem Drumherum am Leben.

Eine ähnliche Aufregung gab es vor fünfzig Jahren, als Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus die sinfonische Klassikwelt aufmischte. Vergleichen lassen sich die beiden Fälle aber kaum. In einer Phase, da die klassische Moderne einen letzten Höhepunkt erlebte, erneuerte Harnoncourt mit seinen wissenschaftlich beglaubigten Interpretationen die Werke in ihrem Kern. Currentzis hingegen ist ein Kind der Postmoderne. Seine aufsehenerregenden Interpretationen arbeiten sich an der äusseren Erscheinung der Werke ab. Harnoncourt ermöglichte ein neues, historisch-kritisches Verständnis traditioneller Musik, bei Currentzis geht um ein neues Design des bereits Bekannten.

Eine unwesentlich gekürzte Version dieser Kolumne ist in der Schweizer Musikzeitung erschienen.

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