Ein Komponist und ein Filmemacher aus Estland, die mit der audiovisuellen Produktion unter dem Titel „In the Mystical Land of Kaydara “ einen afrikanischen Mythos in den Konzertsaal und auf die DVD bringen: auf den ersten Blick ein merkwürdiges Unterfangen. Doch bei diesem traditionellen Epos aus Mali und dem Senegal geht es um die philosophische Suche nach einer Lebenswahrheit, wie sie in allen Sagenwelten, auch in europäischen, thematisiert wird: Wie findet der Mensch zu Maß, Weisheit und letztlich zum Glück? Drei Freunde machen sich auf den Weg in das mystische Land von Kaydara, um eine Antwort darauf zu finden, aber nur einer ergründet das Geheimnis und wird damit zum auserwählten Herrscher.
Dass bei dieser Reise nach Kaydara nie der Eindruck pittoresker Exotik aufkommt, verdankt sich zum einen dem kulturenübergreifenden Charakter des Themas, zum anderen der Tatsache, dass der Komponist Peeter Vähi lange Afrikaaufenthalte hinter sich hat und sich deshalb nicht von Oberflächenphänomenen blenden lässt. Seine Musiksprache ist einfach und bewegt sich im weiten Feld der Tonalität, afrikanische Perkussionsinstrumente sind dezent in den Orchesterklang eingearbeitet.
Die holzschnittartig geformte Musik und die oratorische Besetzung samt Sprecher verleihen der archaischen Erzählung scharfe Konturen, und mit den suggestiv bewegten Bildern von Jüri Tallinn verbindet sich die Musik zu einer aussagekräftigen Bild-Ton-Montage. (Trailer) Dominierend ist das Verfahren, unterschiedliche Realität- und Bewusstseinsebenen durch Überblendung übereinanderzulegen. Das erinnert an die These der „diaphanen“ Bewusstseinsschichten, wie sie der Kulturphilosoph Jean Gebser einst formuliert hat.
Die Überblendung geschieht vor allem zwischen der Konzertsaalsituation und einer Fantasie-Bildwelt, bestehend aus Aufnahmen von afrikanischen Landschaften, Masken und Bilddarstellungen sowie aus virtuellen Computerbildern, die Kosmisch-Urzeitliches suggerieren. Das wird auf variantenreiche Weise realisiert. So entsteht ein fiktiver Raum, in dem äußere und innere Realität, Gegenwart und vorzeitliche Erinnerung verschwimmen.
An die technische Perfektion der Science Fiction aus den Illusionsfabrik Hollywood kommt das natürlich nicht heran, der handwerkliche Charakter schimmert allenthalben durch und die visuelle Fantasie überbordet gelegentlich. Aber als beherzter Versuch eines audiovisuellen Gesamtkunstwerks mit interkultureller Perspektive hat die Produktion durchaus ihren Reiz.
In the Mystical Land of Kaydara. Estonian Record Productions, ERP 8817 (1 DVD)