Die neuen Medien, also alles, was mit Computer und Digitalisierung zusammenhängt, sind heute aus den Künsten nicht mehr wegzudenken. Damit ist auch ein neuer Typ von Künstler entstanden: der Medienkünstler. Die Entwicklung begann schon gleich im ersten Nachkriegsjahrzehnt mit Musique concrète und elektronischer Musik, doch erst in der Pop Art entstand daraus eine neue performative Qualität. Wenn Nam June Paik den Fernseher in seine Materialcollagen einbaute und ihn gelegentlich auch spektakulär zerdepperte, machte das Schlagzeilen. Das war der Beginn der Medienkunst als performativer Akt, in dem Künstler und Werk zur publikumswirksamen Einheit verschmelzen.
Mit der rasanten Entwicklung der Medien sind auch die künstlerischen Möglichkeiten fast ins Uferlose gewachsen. Die Digitalisierung ermöglicht früher undenkbare Formen der Synthese von akustischer und visueller Sphäre, das Internet die zeitlich und räumlich unbegrenzte Präsenz jeder Art von Äußerung. Auch die Rolle des zum Medienkünstler gewordenen Künstlers hat sich damit gewandelt. Das betrifft nicht nur sein Verhältnis zum „Material“, wie das aus der engeren Macherperspektive manchmal erscheinen mag, sondern ebenso sehr sein Verhältnis zur Öffentlichkeit. Denn er bezieht nicht einfach die neuen Medien in seine Arbeit ein, als wären sie ein neues Instrument oder eine neue Farbe, sondern er nutzt sie als Kommunikationsmittel und bringt sich als Person in den künstlerisch-medialen Kontext ein. Wie einst Nam June Paik wird er damit zu einem Inhalt des Mediums. Die Ästhetisierung seiner Person ist von der Selbstpropagierung nicht zu trennen. Zur Botschaft des Werks gehört die persönliche Botschaft des Künstlers: „Seht, das bin ich!“ Die mediale Selbstdarstellung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Eine modellhafte Karriere als Medienkünstler hat Christian Jankowski gemacht, der Kurator der gerade in Zürich stattfindenden europäischen Wanderbiennale „Manifesta“. 1992 ging er als Kunststudent in Hamburg in den Supermarkt, um sich beim Einkauf die Waren mit Pfeil und Bogen vom Regal zu schießen. Kein Kunstprofessor habe ihn entdeckt, sagt er, sondern die Hamburger Morgenpost, deren Reporter ihn dabei fotografiert habe. „Das ging auf einmal rum in der Kunstwelt, und auf einmal fragten irgendwelche Galeristen aus New York: Wer ist denn dieser Typ, der da bei euch in Hamburg mit Pfeil und Bogen durch die Supermärkte geht?“ Damit sei er in die Talkshows gekommen. „Das war ein tolles Erlebnis, und es hat mein Gespür für Medien verstärkt. In meinen Arbeiten spielen immer die Medien eine Rolle.“
Während der Komponist klassischen Zuschnitts durch seine Partituren zum gesellschaftlich anerkannten Künstler wird, wird es der Medienkünstler vor allem durch die Medien. Sie sind ein Turbobeschleuniger für seine Karriere. Doch sie sind auch volatil, er muss ständig dafür sorgen, dass die Aufmerksamkeit nicht nachlässt. Und die Frage im Hinterkopf behalten: Was kann ich sonst noch außer Selbstdarstellung?
Max Nyffeler
Juli 2016