Graciela Parasakevaídis gehört zu denjenigen Komponisten und Komponistinnen, deren Qualitäten leider erst nach ihrem Tod so richtig entdeckt werden. Wer es noch nicht gemacht hat, kann es mit dieser CD nachholen. Ständig ist man auf der Suche nach Komponisten mit dem berühmten „eigenen Ton“ und stößt dabei doch meistens nur auf geschäftstüchtige Narzissten. Aber die Neuerscheinung „Libres en el sonido“ mit Werken von Graciela Paraskevaídis ist ein lebendiger Beweis, dass es diesen Tonfall auch jenseits der Poesie der Öffentlichkeitsarbeiter gibt .
Das Wort „eigenständig“ trifft auf die Musik der uruguayischen Komponistin, die im Februar 2017 in Montevideo starb, vollumfänglich zu. Darin spiegelt sich vor allem ihre Erfahrungswelt als europäische Emigrantin in Südamerika. Der gern in Anschlag gebrachte Sonderstatus einer „komponierenden Frau“ spielt hier eine Nebenrolle.
Das Musikverständnis eines Edgard Varèse, der den Klang als akustisches Rohmaterial behandelte, hat ihr Komponieren ebenso beeinflusst wie die konstruktive Härte von Iannis Xenakis. Was aber vor allem auffällt, ist der raffinierte und zugleich sprachmächtige Neoprimitivismus ihrer rituell wirkenden Musik. Die in die Stille hineingehauenen, dissonant geschärften Klänge, die grell gefärbten Ostinatoakkorde, die Statik der gedehnten Zeitstrecken, die Magie der geheimnisvollen Klangzeichen: In all dem klingt etwas von den indigenen Traditionen Lateinamerikas nach, mit denen sich die politisch hellhörige Komponistin eingehend beschäftigt hatte.
Das Freiburger Ensemble Aventure trifft den Charakter der Stücke perfekt. Wie es der Pierrot-lunaire-Besetzung in „Libres en el sonido presos en el sonido“ („Frei im Klang gefangen im Klang“) Klänge von elektronischer Qualität abgewinnt und damit die obertonreichen Intervalle zum Hörerlebnis macht, ist große Klasse. Jedes Stück bekommt seine unverwechselbaren Konturen.
Ein Jammer, dass die Komponistin bei den großen europäischen Festivals allzu oft hinter den in der Kategorie Selbstdarstellung begabteren europäischen Kollegen zurückstehen musste. Die vorliegenden Aufnahmen zeigen, was uns damit entgangen ist.
Graciela Paraskevaídis: Libres en el sonido. Ensemble Aventure (Wergo 7362 2)
Eine etwas veränderte Printversion ist in der Zeitschrift MusikTexte Nr. 157 erschienen.