Die Zeitschrift Dissonanz: Das Original

Titelseite DissonanzVon 1969-1971 erschien in Zürich die Zeitschrift Dissonanz. Redigiert und herausgegeben wurde sie von einer Gruppe von Musikstudierenden am damaligen Konservatorium. Es gab damals noch keine Fotokopierer und schon gar keine Computer. Die Texte wurden per Schreibmaschine auf alkohollösliche Matrizen geschrieben, die Kopien im A4-Format per Hand auf einer Walze abgezogen, und  am Schluss wurde das Ganze am linken Rand geheftet. Der Verkauf erfolgte bei musikalischen Veranstaltungen, innerhalb der Schule und bei den späteren Nummern über einige Buch- und Musikalienhandlungen in Kommission. Insgesamt erschienen sieben Hefte, dazu zwei Sonderhefte zu Konzertveranstaltungen.

Die Inhalte der Dissonanz drehten sich hauptsächlich um zwei Themenbereiche:

– erstens um Fragen der dringend nötigen Studienreform  (die Dissonanz war auch das selbsternannte „offizielle Organ“ der neu gegründeten OMZ, der Organisation der Musikstudierenden Zürich)  und um die damals debattierten linken Theorien (Marx, Adorno, Marcuse  usw.); es gab auch Beiträge über Musikwissenschaftler mit Nazivergangenheit.

– zweitens um die neue Musik vom atonalen Schönberg bis John Cage, die damals noch den Nimbus einer oppositionellen Avantgardekultur hatte und in der Ausbildung wenn überhaupt, dann nur am Rande, sozusagen als Kuriosum, eine Rolle spielte. Mit Beiträgen über und Interviews mit Komponisten wie Dieter Schnebel, Mauricio Kagel und John Cage schlug die Dissonanz eine Bresche in diese Mauer des Nichtwissens. Das ging nicht ohne Polemik ab, wenn etwa in einem Artikel die genannten Avantgardisten gegen Hans Werner Henze als Vertreter einer rückständigen Ästhetik ausgespielt wurden. Als Mentor im Hintergrund stand Heinz-Klaus Metzger, der sich damals eine Zeitlang in Zürich aufhielt und in der Wohnung des Klavierprofessors Sava Savoff, stimuliert durch Mengen von Zigaretten und Weißwein,  informelle Privatissima für einen kleinen Kreis von Studierenden abhielt.

Im Umfeld der Dissonanz entstanden auch nach außen wirkende Initiativen. In einem öffentlichen Konzert wurden erstmals Kompositionen der Richtung Instrumentales Theater aufgeführt, wobei ein Sonderheft der Dissonanz als Programmheft diente und theoretische Hintergründe zu den Stücken lieferte.

Im Juni 1970 wurde dann im Centre Le Corbusier in Zürich, einem nach Plänen von Le Corbusier entworfenen Pavillon im Park am See, das erste sogenannte Wandelkonzert in der Schweiz durchgeführt.  Es dauerte rund sechs Stunden. Auf drei Ebenen der offenen Innenarchitektur des Hauses wurden zum Teil simultan für wanderndes Publikum, zum Teil in traditioneller Konzertform zahlreiche zeitgenössische Werke gespielt, die meisten als schweizerische Erstaufführung. Als Uraufführung erklang die Komposition „Da un divertimento“ des damals noch weitgehend unbekannten Salvatore Sciarrino. Interpreten waren zumeist Studierende aus Zürich, aber auch aus Frankfurt und Essen. Sie wurden zu Mitgliedern des von Rainer Riehn und Heinz-Klaus Metzger geleiteten Ensemble Musica Negativa erklärt, das damals gerade im Entstehen war. Das Sonderheft 5b der Dissonanz enthält die Details zu diesem Konzert.

Mit der Nummer 7 zum damals virulenten Thema „Die Krise der Darmstädter Ferienkurse“, die nicht nur in Darmstadt selbst, sondern auch in Köln auf waches Interesse stieß,  ging die Reihe der Dissonanzen zu Ende.  Die Gründungsmitglieder hatten das Studium beendet oder wandten sich anderen Interessen zu.  In den 1980er Jahren wurde der Titel von der Redaktion der „Schweizerischen Musikzeitung“ (nicht identisch mit der heutigen „Schweizer Musikzeitung“) gekapert, als die traditionsreiche Publikation einen Relaunch durchführte und  sich mit dem zweisprachigen Namen „Dissonanz/Dissonance“ einen attraktiveren öffentlichen Auftritt versprach.

Alle Nummern der Dissonanz sind von der Redaktion der Zeitschrift MusikTexte gescannt worden und sind nun unter den folgenden Links zum Blättern einsehbar.

Nummer 1:


Nummer 2, mit Beitrag von H.-K. Metzger über Hans Werner Henze:


Nummer 3:


Nr. 3b, Sonderheft „Instrumentales Theater“:


Nr. 4, mit Interview Mauricio Kagel:


Nr. 5:


Nr. 5 b, Sonderheft zum Konzert im Centre Le Corbusier Zürich:


Nr. 6, mit Interview John Cage (Max Nyffeler):


Nr. 7, Thema: Krise der Darmstädter Ferienkurse:

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