Emigration nach Hollywood

Fluchtpunkt Kalifornien: Ein filmischer Beitrag zur Exilforschung

Shadows in Paradise, ein Film über die EmigrationÜber die Emigration in die USA während der Nazizeit sagte Strawinsky: „Hitler schüttelte den Baum, und Amerika sammelte die Äpfel auf.“ Treffender könnte man die Ursachen für die kulturelle Hochblüte nicht beschreiben, die in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts Los Angeles zum Zentrum der Musikwelt machte. Heifetz, Rubinstein und Piatigorski ließen sich hier nieder, in den Filmstudios von Hollywood suchten führende europäische führende Komponisten, Regisseure und Drehbuchschreiber nach Arbeit, und die Crème der deutschen Literatur versammelte sich unter der kalifornischen Sonne. Arnold Schönberg sagte, er habe nirgendwo mehr Wiener angetroffen als in Los Angeles.

Mit seiner Dokumentation „Shadows in Paradise. Hitler’s Exiles in Hollywood“ liefert der New Yorker Filmautor und Produzent Peter Rosen einen Beitrag zum Thema Exilforschung, der mit einer Menge von authentischem Material brilliert. Viele der gezeigten Bilder haben Seltenheitswert. Was zum Beispiel sonst immer nur als hübsche Anekdote und Pointe der Musikgeschichte die Runde macht, Schönberg habe mit Gershwin Tennis gespielt, bekommt man hier zu sehen. Die historischen Filmdokumente werden ergänzt durch Interviews mit Nachkommen und den wenigen noch lebenden Zeitzeugen der Emigration. Der Dirigent James Conlon führt als Erzähler durch den Film, das Freiburger Ensemble Recherche steuert Neuaufnahmen von damals entstandenen Kompositionen bei. (Trailer)

Der Einblick in die sonderbare Emigrantenszene, in der sich die vor Hitler geflohene kulturelle Elite Europas wiederfand, ist erhellend. Inmitten der ewigen Blütenpracht zwischen Hollywood und Pacific Palisades trafen Schicksale aufeinander, wie sie kein Literat je hätte erfinden können. Die einen konnten Fuß fassen und verfügten über Einkommen und Sozialprestige wie Lion Feuchtwanger, der sich eine luxuriöse Villa hoch über dem Pazifik leisten konnte. Oder Thomas Mann, dessen berühmtes Diktum im kenntnisreichen Film auf Englisch zitiert wird: „Where I am, there is Germany“ – mit diskretem deutschem Akzent, versteht sich. Andere wie sein Bruder Heinrich Mann verkümmerten; seine Frau nahm sich das Leben, sein Arbeitswille erlosch in der ihm fremden Kultur. Schönberg, so erzählt seine Tochter Nuria, war als Komponist praktisch inexistent, doch die Leute, denen er sich vorstellte, begrüßten ihn mit Begeisterung – als Vater von Ronnie Schönberg, der so gut Tennis spielte. Auf die meisten Insassen dieses „Fegefeuers unter Palmen“ traf Alfred Polgars Bonmot zu: „Der, dem es schlecht geht, lebt hier in entschieden bequemeren traurigen Verhältnissen als anderswo.“ Die dunkle Seite der Emigration.

Apfelstrudel mit Adorno

Das schizophrene Bewusstsein, in einer märchenhaft schönen Umgebung überleben zu können, während neuntausend Kilometer entfernt die verrückten Volksgenossen ganz Europa in Trümmer legen, macht dieser Film über die kulturelle Emigration auf eindrucksvolle Weise nachvollziehbar. Dabei spart er nicht mit komischen und absurden Details. In der Villa Feuchtwanger gab es wöchentliche, von Thomas Mann geleitete Diskussionsrunden, an denen Leute wie Brecht, Adorno und Werfel teilnahmen und Wiener Apfelstrudel serviert wurde; sie begannen immer mit einer Lesung Feuchtwangers aus eigenen Werken und gingen Punkt elf Uhr zu Ende, weil Mann zu Bett gehen wollte. Brecht wird von Zeitzeugen als notorisch übelgelaunter Intellektueller beschrieben, mit einem Gesichtsausdruck, „als würde er am nächsten Tag ins KZ eingeliefert“. Thomas Mann mit Hut prostet bei der Gartenparty mit Orangensaft in die Kamera. Ein damaliger Galeriebesitzer erzählt, wie eines Tages Strawinsky bei ihm hereinkam und fragte, ob er sich hier mit ein paar Freunden treffen dürfte. Der Reihe nach erschienen dann Aldous Huxley, Sergej Rachmaninoff, Mann und Schönberg, worauf der Galerist sich respektvoll verzog und sagte: Hier ist der Schlüssel, bitte schließen Sie die Tür ab, wenn Sie wieder gehen.

Das Jahrzehnt der europäischen Emigration in Kalifornien wirkt in dieser dokumentarischen Rückblende wie ein kultureller Spuk – das bizarre Nebenprodukt einer Amok laufenden Politik im fernen Europa. Mit Beginn der McCarthy-Ära 1947 ging alles so schnell zu Ende wie es begonnen hatte. Den ernüchternden Schlusspunkt des kulturgeschichtlich hoch interessanten Films bilden die Bilder von den Hearings des „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ und eine Aussage von Fritz Lang. Der Filmregisseur sieht die Tragik des Exils nicht in den schwierigen Lebensumständen in der Fremde, sondern in dem, was Freiherr Börries von Münchhausen, selbst ein politisch Verirrter, in den Schlusszeilen seines Gedichts „Der Emigrant“ festgehalten hat: „Und wenn er dann nach Hause kommt, ist er daheim ein fremder Mann.“

Shadows in Paradise. Hitler’s Exiles in Hollywood. Dokumentarfilm von Peter Rosen. EuroArts 2058268 (1 DVD).

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