Florence Price, wiederentdeckt

Florence Price

Florence Price war bis vor wenigen Jahren ein No-Name im Konzertbetrieb. Doch heute tauchen ihre Orchesterwerke nicht nur in den USA, sondern auch in Europa vermehrt in den Konzertprogrammen auf. Der Beginn dieses Revivals kann im Wesentlichen auf das Jahr 2018 datiert werden, als im New Yorker und in der New York Times Würdigungen ihres Schaffens erschienen, der Verlag Schirmer die Rechte kaufte und die Vermarktung in die Hand nahm.

Auch Aufnahmen sind seither zahlreiche erschienen. Nachdem sie auf physischen Tonträgern lange fast nur in Sammel-CDs zusammen mit anderen Komponistinnen vertreten war, ist die Zahl monografischer Alben mit ihrer Musik seither immerhin auf rund ein halbes Dutzend angewachsen. Viele Einzelaufnahmen ihrer Werke findet man im Internet: Lieder, Kammermusik, eine mit Fantasie Nègre betitelte, pianistisch anspruchsvolle Variationenfolge über ein Negro Spiritual, Sinfonien, Solokonzerte und Genrestücke aller Art.

Das Schaffen der 1887 in Little Rock (Arkasas) geborenen und 1953 in Chicago verstorbenen afroamerikanischen Komponistin umfasste, für amerikanische Verhältnisse nicht untypisch, alle Gattungen vom Folksong und Negro Spiritual über die Kammer- und Kirchenmusik bis zur gehobenen Konzertsaalmusik. Insgesamt sind es über dreihundert Werke, darunter über sechzig für Klavier.

Die meisten der heute erhältlichen Aufnahmen sind erst in den letzten Jahren entstanden, nicht zuletzt im Hinblick auf ihr siebzigstes Todesjahr 2023. Die späte Renaissance, die ihre Werke nun erfahren, verdankt sich aber wohl in erster Linie dem in jüngster Zeit veränderten politischen Klima, ein Resultat der Fortschritte im Kampf der Afroamerikaner um Gleichberechtigung. Vor allem in der Hochkultur gibt es da einiges aufzuholen.

Eine selbstbewusste Komponistin

Florence Price wuchs in einem gutsituierten, kunstfreundlichen Elternhaus auf. Sie studierte Musik in Boston, arbeitete dann in Little Rock als Musiklehrerin und übersiedelte 1927 aufgrund des allgegenwärtigen Rassismus mit ihrem Mann, einem Rechtsanwalt, nach Chicago. Hier begann nach ihrer Scheidung ihre Karriere. Den Durchbruch brachte 1933 die Uraufführung ihrer Ersten Sinfonie durch das Chicago Symphony Orchestra; es war das erste Mal, dass das Werk einer Afroamerikanerin von einem Spitzenorchester gespielt wurde. Der große Erfolg in den Konzertsälen blieb ihr jedoch verwehrt. In dem von weißen Immigranten und ihren Nachfolgern dominierten Konzertbetrieb war ihr Platz stets in der zweiten Reihe.

Ihr weniger nach Klage als nach stolzem Selbstbewusstsein klingender Ausspruch in einem Brief an den Dirigenten Serge Koussevitzky, sie habe zwei Handicaps, sie sei ein Frau und zur Hälfte schwarz, wird heute überall zitiert. Auch auf einer 2021 erschienenen und sogleich für den Grammy nominierten CD wird er werbeträchtig herausgestellt. Sie enthält zwei der meist gespielten Orchesterwerke von Florence Price, die Erste und die Dritte Sinfonie.

Interpretationsfragen
Florence Price Sinfonien 1 und 3

Die Interpretation mit dem Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin (Deutsche Grammophon 486 2029) tut der Musik keinen Gefallen. Vielleicht um ihr ein sinfonisches Gütesiegel zu verleihen, produzieren Dirigent und Orchester einen süffigen Schönklang, in den Höhenpunkten triumphiert routiniertes Pathos und der Bläserchoral im zweiten Satz der Ersten Sinfonie kommt breitspurig daher – eine Aufführungsroutine, die sich im Konzertsaal eigentlich längst disqualifiziert hat. Die Werke werden damit in wohlmeinender Manier einer schlechten spätromantischen Tradition zugeschlagen, in die sie nicht gehören.

Viel näher dran an dieser Musik ist die Aufnahme der Sinfonien Nr. 1 und 4 durch das Fort Smith Symphony Orchestra unter John Jeter (Naxos 8.559827). Sie ist schlank, transparent und verzichtet auf orchestralen Pomp; das situiert die Werke, obwohl sie den Boden der klassisch-romantischen Tonalität nie verlassen, deutlich im 20. Jahrhundert.

Florence Price, Sinfonie 1, Klavierkonzert d-Moll

Die Erste Sinfonie, die es durch die Tonträgeraufnahmen inzwischen zu einiger Popularität gebracht, hat, ist auch auf einer 2023 erschienenen CD mit dem englischen Chineke! Orchestra zu hören, zusammen mit dem relativ kurzen, weniger bekannten Klavierkonzert in d-Moll, gespielt von der jungen Jeneba Kanneh-Maason. Das 1932-34, also anschließend an die Sinfonie entstandene Klavierkonzert wurzelt in der Virtuosentradition des 19. Jahrhunderts. Es zeichnet sich durch raumgreifende Entwicklungen und eine frei sich verströmenden Emotionalität aus, wirkt dabei aber kompakt und schnörkellos. Der kurze dritte Satz kommt mit munteren Ragtime-Rhythmen daher. (Decca 485 3996)

Trauer, Protest, Lebensbejahung

Bei allem Eklektizismus zeichnen sich die Werke von Florence Price durch eine unverkennbar persönliche Handschrift aus. Es ist die Sprache einer ebenso einfallsreichen wie handwerklich versierten Komponistin, die die europäische sinfonische Literatur gründlich studiert hat; eine große instrumentale Farbigkeit, Brucknersche Bläserchöre und polyphone Durchführungsteile zeugen davon.

Doch das klassisch geschulte Handwerk verbindet sich mit einer kraftvollen Gestik und deutlichen Anklängen an afroamerikanische musikalische Traditionen. Während das Material in den Themenbereichen häufig vom Liedgut der Südstaaten abgezogen und damit diatonisch geprägt ist, kommt in den Übergängen und Entwicklungspartien vermehrt Chromatik zum Zuge.

Auffällig ist zudem eine Vorliebe für Molltonarten. Alle vier Sinfonien stehen in Moll, die Erste in der klassischen Trauertonart e-Moll. Zusammen mit einer Tendenz zu dunklen Farbmischungen verleiht das der Musik oft einen tragischen Unterton und verweist auf den für Price charakteristischen Gehalt der sinfonischen Form.

Lforence Price CD3

Dieser kommt auf einer zweiten CD, in der Jeter nun das ORF-Sinfonieorchester dirigiert, explizit zur Darstellung (Naxos 8.559897). Sie enthält neben der Dritten Sinfonie zwei Sinfonische Dichtungen. The Mississippi River entwirft mit Negro Spiritual-Paraphrasen ein kontrastreiches, dramatisch aufgeladenes Porträt des schwarzen Lebens in den Südstaaten. Trauer und Lebensbejahung sind eng verwoben mit dem Tonfall des Protests. Die hier erstmals aufgenommene dreiteilige Komposition Ethiopia’s Shadow in America (1932) führt mit großer tragischer Geste ins Zentrum der amerikanischen Problematik: Versklavung, Resignation, Glaube und schließlich die Suche nach einer neuen kulturellen Identität sind die Stationen dieses von tiefer Empfindung durchdrungenen Werks. Für den Konzertsaal wäre es, wie The Mississippi River, eine Entdeckung wert.

Noch wagt sich in Europa offenbar kein Veranstalter an diese spezifisch amerikanischen Schöpfungen heran. Geht es mit der Entdeckerfreude am reichhaltigen Schaffen von Florence Price weiter wie bisher, dürfte es aber nicht mehr allzu lange dauern.

Erweiterte Fassung einer CD-Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 14.3.2022, S. 10

siehe auch: Joseph Horowitz, Dvorak’s Prophecy

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