Im zahlenmäßig kleinen Œuvre von Galina Ustwolskaja gibt es zwei Werke für die traditionelle Besetzung Violine und Klavier: Das eine, komponiert 1952, ist betitelt mit „Sonate“, das andere aus dem Jahr 1964 mit „Duett“. Ein Vergleich der beiden Werke zeigt die tiefgreifenden Veränderungen, die sich in diesen zwölf Jahren in ihrer Musik abgespielt haben. Es gibt zwar auch Gemeinsamkeiten wie die Einsätzigkeit oder das Prinzip rhythmischer Wiederholungen. In Satztechnik und musiksprachlichem Gestus könnten sie aber unterschiedlicher nicht sein. Die ein Jahr vor Stalins Tod entstandene Sonate folgt noch dem traditionellen Muster einer linear geführten Zweistimmigkeit, während das spätere Duett den Klangraum aufreißt und die Instrumente als frei verfügbare Komponenten zur Strukturierung einer raum-zeitlichen Totale einsetzt.
Die paradoxe Monotonie der „Sonate“
Was bei beiden Partituren auf den ersten Blick auffällt, ist die metrische Vorgabe: ¼. Es gibt kein Metrum in der Art von einem Dreiviertel- und Viervierteltakt mit einer betonten „Eins“ zu Beginn, und damit gibt es auch keine Taktstriche. Alle Viertel sind „Eins“, also gleichschwer (falls sie nicht extra bezeichnet sind).
In der Sonate sind die Viertel nicht in Binnenwerte unterteilt; sie selbst sind der kleinste Notenwert. Daraus wird das radikale Prinzip entwickelt, welches die rhythmische Erscheinung des Werks prägt: Es besteht im Grunde aus einer einzigen Kette von gleichmäßig schreitenden Vierteln. Gebrochen wird diese bewusste Monotonie nur durch die zahlreichen formgliedernden Pausen und Fermaten, letztere oft in Verbindung mit längeren Notenwerten, sowie durch ein vorübergehend schnelleres Tempo nach etwa zwei Dritteln der rund sechzehnminütigen Dauer.
Die rhythmische Gleichförmigkeit wird auf der Ebene der Tonhöhen mit Leben erfüllt durch lange Melodiefäden, die sich im Klangraum frei entfalten – schwebend, in mäandernder Bewegung und tonal unbestimmt. Beim Abtauchen in die tiefen Lagen des Klaviers gleicht das dem „walking bass“ im Jazz. Vor allem aber sticht aus dieser schreitenden Melodik das Fünftonmotiv As–Es–As–As–Es hervor. Das Quartmotiv ist allgegenwärtig; es ist mehr als ein Leitmotiv, eher eine Art „idée fixe“.
Diese strukturbestimmenden Elemente sind in eine freischwebende Harmonik eingebettet und an der Klangoberfläche durch Lautstärke und Artikulation sorgfältig modelliert. So entsteht der Eindruck einer Wanderung durch eine weite Klanglandschaft, in der Statik und Bewegung auf paradoxe Weise zusammenfallen.
Kampf bis zur Erschöpfung
Der Eindruck von Statik durch hartnäckige Wiederholung gleicher Elemente prägt auch das Duett von 1964. Doch nun ist die Form zerklüftet und der Viertelpuls verschwindet hinter übergeordneten rhythmischen Ereignisfolgen, die in den Bruchstellen hart aufeinanderprallen. Aus der frei schweifenden Wanderung in der Sonate wird ein wütendes Treten an Ort, das sich immer wieder in wüsten Zweikämpfen zwischen Klavier und Violine entlädt. Die hartnäckig wiederholten Klangattacken wirken wie ein vergebliches Rütteln an Gitterstäben. Zwischendurch wird der Energiepegel auch einmal verringert, aber nur, um Kraft für den nächsten Ausbruchsversuch zu schöpfen.
Gleich zu Beginn, nach drei leisen Tönen der Violine, wird mit schneidend scharfen Akkordschlägen im vierfachen Forte der energetische Maximalpegel markiert. Ihr Tonmaterial besteht aus zehn Tönen der chromatischen Totale, die fehlenden zwei sind Ges und Es. Diese erscheinen nach diesem Eröffnungsteil in höchster Lage in der Violine und bilden als lyrisch-expressive Einzelstimme eine extreme Gegenwelt zum aggressiven Umfeld.
Im langen, leise entschwebenden Schlussteil wird dann dieses Zweitonmotiv zum zentralen Ereignis. Dazwischen ein Schlachtfeld der Klänge. Der permanente Hochdruck weicht in der zweiten Hälfte zunehmend der Erschöpfung. Gegen Schluss wird die Zeit bis ins Extrem gedehnt und der Raum immer mehr nach oben geöffnet, bis sich das lange gehaltene Ges der Violine im vierfachen Piano verliert.
Aus dem Programmheft zum Konzert am 22. Juli 2018 bei den Salzburger Festspielen. Programm (pdf)
Siehe auch den Beitrag zu den Klaviersonaten von Galina Ustwolskaja.