Neulich war in einem längeren Zeitungsartikel zu lesen, was man unter der sogenannten Generation Y zu verstehen hat: Mittelstand, Geburtsjahrgänge ungefähr 1980 bis 1999, technikaffin, selbstbewusst bis egoistisch, wählerisch in den Ansprüchen und mit einer Schlagseite zur Discokultur. Der Autor des Artikels, der sich altersmäßig auch gerade noch dazurechnet, hatte eine Wochenendparty irgendwo in den polnischen Wäldern besucht, wo zwei Tage lang reiche Westler gegen teures Eintrittsgeld sich zu monotoner Elektromusik die überschüssige Energie aus dem Leib zappelten und mit Drogen zudröhnten. Die Generation Y in Aktion.
Das Bild, das der Autor von dieser neuen Art von Hedonismus zeichnete, war erhellend. Noch erhellender waren indes die Leserkommentare, denn sie wuchsen sich zu einem gewaltigen Shitstorm aus. Er kapiere nichts von dieser Kultur, rechneten die empörten Ypsilons dem journalistischen Beobachter vor. Die Musik sei rhythmisch absolut geil und der beziehungslos für sich allein Herumzappelnde überhaupt kein Egotänzer, sondern Teil einer wunderbaren Gemeinschaft. Alle würden sich großartig fühlen. Und überhaupt: Dieser Journalist könne nicht mitreden, weil er fremder Zugucker sei, ein Spießer und Spielverderber mit Argumenten aus Großmutters Mottenkiste. Der Tenor lautete: Schnauze halten! Die Kriterien bestimmen wir, basta!
Das kennen wir doch irgendwie. Wenn nicht in diesem aggressiven Tonfall, so doch in der argumentativen Ausrichtung: Wer nicht dazugehört, hat kein Recht, ein Urteil abzugeben, zumal kein kritisches. Im Schutz der Gruppenzugehörigkeit legen die Gleichgesinnten die Regeln fest, nach denen ihre Welt funktioniert und nach denen sie beurteilt werden wollen. Objektivität wird geleugnet. Das ist ihr gutes Recht und obendrein identitätsfördernd.
Nur sind sie sich leider nicht bewusst, dass es jenseits ihres Gruppenreviers noch eine andere Welt gibt. Es ist die Welt der Allgemeinheit, und dort gelten andere Regeln. Darin finden sie vielleicht eine Nische, wo sie sich einrichten und austoben können, und sei es ein Wald in Polen. Aber die Kontrolle über die Nische lässt sich die Allgemeinheit nicht nehmen. Im Zoo ist es ja bekanntlich ähnlich.
Damit sind wir unversehens bei den Debatten über die sogenannt neue Musik angelangt, die ständig neu sein will und doch immer wieder alt aussieht. Weil eben, wie schon Stockhausen gemerkt hat, die Zeit vergeht. Im alten Darmstadt wurden bekanntlich die eigenen Regeln auf ziemlich beißlustige Art verteidigt gegen alle die Spießer und Spielverderber, die nicht dazugehörten und die man auch gar nicht dabei haben wollte. Denen, die dazugehörten, machte das Spaß. Sie brachten damit das allgemeine Publikum gegen sich auf, was sie wiederum in ihrer Gruppenidentität bestätigte. Die heutigen Einrichtungen dieser Art sind dagegen ein Streichelzoo. Man möchte von den neugierigen Außenstehenden nett angefasst werden und schafft dafür Begegnungszonen. Das heißt dann Vermittlung.
Aggressiv wird es nur noch gelegentlich bei den Revierkämpfen innerhalb des Geheges. Dabei geht es aber, was naheläge, nicht um die Verteilung von Geld, sondern vielmehr um die Gültigkeit von irgendwelchen Regeln oder Paradigmen, die man eifersüchtig hütet und von keinem Außenstehenden infragestellen lassen will. Jede Gruppe verteidigt ihr mühsam erworbenes intellektuelles Gut: die Konzeptionalisten, die Komplexisten, die Internetaktivisten und wie sie alle heißen. Merkwürdig nur, dass sich immer Gleichgesinnte zusammenrotten müssen, um sich in ihrem Denken gegenseitig zu bekräftigen, und dass es dabei immer um irgendwelche Theoreme mit schnellem Verfallsdatum geht, für die das Komponierte bloß noch als Beleg dient.
Es geht nur noch selten um individuelle Werke, die für sich sprechen und die Kraft besitzen könnten, neue Gedankengänge anzustoßen und damit neue Realitäten zu schaffen. Vielleicht ist das symptomatisch für die heutige Schwäche des Individuums. Auch für eine Gesellschaft, in der das Verbindende zunehmend schwindet und man die Regeln der eigenen Gruppe gerne über alles andere stellt. Die Musik macht da keinen Unterschied.
Max Nyffeler