Il trionfo del tempo e del disinganno

Händel, Il trionfo, CoverVom Oratorium „Il Trionfo del tempo e del disinganno“, das der 22-jährige Händel 1707 während seines Romaufenthalts komponierte, gibt es im Handel zwar gut ein halbes Dutzend CD-Aufnahmen, bisher aber keine nennenswerte szenische Aufzeichnung.Der Mangel ist wohl damit zu erklären, dass diesem chorlosen Oratorium für vier Solisten und Orchester nicht eine jener handlungsträchtigen biblischen Erzählungen zugrundeliegt, wie sie der späte Händel so liebte, sondern eine diskursiv angelegte barocke Allegorie. Eine Inszenierung vom Festival in Aix-en-Provence 2016, erschienen beim Label Erato, füllt nun diese Lücke.

Das Libretto von Kardinal Benedetto Pamphilj, einem der römischen Mäzene Händels, liefert weniger eine dramatische Handlung als eine philosophisch-theologische Abhandlung. Das passte allerdings gut in das Rom des frühen 17. Jahrhunderts, wo öffentliche Opernaufführungen einem päpstlichen  Verbot unterlagen. In „Il trionfo del tempo e del disinganno“ werden das Verhalten des Menschen angesichts der Vergänglichkeit und sein Weg zum Glauben diskutiert. Die Bellezza (Schönheit) ist hin- und hergerissen zwischen den Verlockungen des Piacere (Vergnügen) und der Angst vor dem grausamen Zahn der Zeit (Tempo). Die vierte allegorische Person, die Enttäuschung (Disinganno), bekräftigt den Vanitas-Gedanken mit desillusionierenden Kommentaren.

Aus dem anspruchsvollen Lehrstück machte Händel aber kein Fest der Freudlosigkeit, sondern ließ sich durch das typisch barocke Sujet – die  Spannung zwischen Körper und Geist, Sinnlichkeit und Entsagung, letztlich Diesseits und Jenseits  – zu einer einzigartigen Vielfalt an Formen und Ausdrucksvaleurs inspirieren. Der psychologisch genaue Blick des Musikdramatikers ist hier schon voll ausgebildet. Die sorgfältige Einstudierung durch Emmanuelle Haïm bringt das plastisch zum Ausdruck. Überragend in ihrer Wandlungsfähigkeit ist Sabine Devieilhe als Bellezza; beim Piacere des Franco Fagioli hingegen geht einem das gleichförmige Flackern in der Stimme auf die Nerven.

Auf der von Malgorzata Szczęśniak eingerichteten Bühne deutet Krzysztof Warlikowski den Weg der Bellezza als Niedergang einer lebenshungrigen, aber innerlich leeren Frau im Krisenbogen von Liebe, Drogen und Krankenstation. Ein illusionistisches Spiegelkabinett und Videos erzeugen doppelte Realitäten; der Filmausschnitt mit Jacques Derrida und Pascale Ogier wirkt freilich aufgesetzt. Die dem Libretto von Il Trionfo eingeschriebene christliche Perspektive  konterkariert Warlikowski am Schluss brutal: Die Bellezza tritt nicht in die Welt des Glaubens ein, sondern schneidet sich ganz profan die Adern auf. Interessant dabei ist: Die Musik ist nicht umzubringen, sie verleiht auch diesem transzendenzlosen Schluss Würde.

Georg Friedrich Händel: Il trionfo del tempo e del disinganno.  Erato 0190295819293 (1 BD; auch als DVD erhältlich)

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