Mit seinem Film „Passion – Zwischen Revolte und Resignation“ arbeitet sich der Schweizer Filmautor Christian Labhart an den uneingelösten Versprechen der 68er Bewegung ab. Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit in den westlichen Universitätsstädten die Studenten auf der Straße und im Hörsaal die große Revolution forderten und der linke Pier Paolo Pasolini die Aggressionen der damaligen Aktivisten auf sich zog, weil er nicht mit ihnen mitmarschierte, sondern sich in einer Zeitungkolumne unter der Überschrift „Ich hasse euch, liebe Studenten“ mit den aus der Unterklasse stammenden Polizisten solidarisierte, die im Kampf gegen die „figli di papa“ ihren Kopf hinhalten mussten.
Der revolutionäre Rausch ist längst abgeklungen, doch der Traum von der Befreiung der Menschheit aus Unterdrückung und Elend spukt noch immer durch manche Köpfe der kleinbürgerlichen Intelligenz. Am Pranger steht heute wie damals der Kapitalismus als Quelle alles Bösen.
Der Schweizer Filmemacher Christian Labhart will uns das nochmals in aller Deutlichkeit kundtun. Als Beleg für die Menschenfeindlichkeit des Kapitalismus hat er rund um den Globus haufenweise hässliche Bilder eingesammelt, die er nun in seinem Filmessay zu einem abschreckenden Panorama zusammengeschnitten hat. Im Soundtrack erklingt dazu mehrfach Musik aus Bachs Matthäuspassion – ein Symbol für die Humanität, die den Bildern abgeht.
Gleich zu Beginn wird die Messlatte ziemlich hoch gelegt. Zum schwarzen Bildschirm rezitiert eine Stimme aus dem Off Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ aus der Zeit des Nationalsozialismus, dann marschiert eine Hundertschaft schwer gerüsteter Polizisten zu den Klängen der Matthäuspassion durchs Bild. Die Fallhöhe ist entsprechend: Ein Schnitt, und wir befinden uns an der Zürcher Bahnhofbrücke, wo wir uns 1968 mit der Polizei geprügelt haben – linke Nostalgie in Schwarzweiss. Für Christian Labhart war das nach eigenen Worten eine politische Initialzündung. Sein Film ist die typische Autobiografie eines Schweizer Linken, der vor fünfzig Jahren Marx und Adorno las und trotz schwerer Zweifel bis heute an der Utopie vom richtigen Leben, das im falschen keinen Platz hat, festhält.
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Sackgasse Baader-Meinhof, Tschernobyl, 9/11, Finanzkrise, Roboter, Syrien, Globalisierung, kaputte Umwelt: ein Abreisskalender des Schreckens, eine permanente Dystopie, aufbereitet mit paradox schönen Bildern aus der sinnentleerten Dingwelt. Wenn Menschen als Individuen vorkommen, dann nur der Autor selbst und sein Umfeld, ansonsten sind sie anonyme Masse – der Fluch des Denkens in abstrakten Menschheitskategorien. Das unbedingte Ja zum Leben, wie es etwa in Afrika den Alltag der Menschen prägt, ist diesem vom Leiden an der Welt durchzogenen Filmessay fremd.
Eine Träne für die Menschheit
Die Ausschnitte aus der Matthäuspassion mit Philippe Herreweghe und seinem Collegium Vocale dienen als Balsam für die verletzte Seele. Mehrfach sind die Musiker auch im Bild zu sehen, was wohl heißen soll: Diese Menschen gehen einer sinnerfüllten Tätigkeit nach, anders als die manipulierten und sich selbst entfremdeten Massen. Doch mit Bach scheint Labhart einem Missverständnis aufgesessen zu sein. Durch die weltliche Umcodierung der Passion schlägt das hohe Pathos des religiösen Leidens in profanes Selbstmitleid um, und anstelle von Christus wird dann eben Ulrike Meinhof betrauert. „Was bleibt?“ lautet der letzte Zwischentitel. Bachs Schlussmusik gibt die Antwort: „Wir setzen uns mit Tränen nieder.“ Ein bisschen mehr hätte es schon sein dürfen.
Passion. Zwischen Revolte und Resignation, ein Film von Christian Labhart (2019).
Harte Kritik, lieber Max Niffeler. Würde gerne mit Ihnen einen Kafi trinken und Ihnen einige Fragen stellen. Z.B, ob Sie nie verzweifeln ob dem Zustand der Welt, so wie das im Moment zig tausende Klimaaktivistinnen tun und darum auf die Strasse gehen.
Also unbedingt den Film schauen!
Christian Labhart Regisseur und Produzent von PASSION