„Unser General Kim Jong-il hat tiefen Schmerz bekundet, als der talentierte Musiker Isang Yun verstarb“, sagt die Leiterin des 1996 eröffneten Isang Yun Museums in Nordkorea. „Er war ein Sohn unseres Volkes.“ Sie verweist auf die von der Künstlergruppe Mansudae gefertigte Büste des Komponisten.
In der südkoreanischen Gedenkstätte, der Isang Yun Memorial Hall, steht eine Kopie davon. „Wir wollten Isang Yuns Wunsch nach Versöhnung zwischen Nord- und Südkorea unterstützen“, sagt ein Sprecher der Gedenkstätte, „und als Symbol der Verständigung haben wir uns diese Büste aus Nordkorea schicken lassen.“
Isang Yun, der Komponist zwischen den Fronten
Ein geteiltes Land, zwei verfeindete Gesellschaftssysteme, und dazwischen ein Künstler, den heute beide Seiten energisch für sich reklamieren. Es gab eine Zeit, da war es anders. Der in Südkorea geborene und 1995 in Berlin verstorbene Komponist lebte schon länger in Deutschland, als er 1967, während der Diktatur von Park Chung-hee, wegen seiner Kontakte zu Nordkorea vom südkoreanischen Geheimdienst aus Berlin entführt und in seiner Heimat zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Dank breiter internationaler Proteste kam er schließlich frei, doch das Image des Spions blieb im Süden lange an ihm kleben. Im Norden erkannte man schnell den propagandistischen Wert der Situation und gründete in den 1980er Jahren ein Festival und ein Ensemble, die nach Yun benannt sind; seine südkoreanische Heimatstadt Tongyeong hat kurz nach 2000 nachgezogen.
Der zum zwanzigsten Todestag des Komponisten gedrehte Film von Maria Stodtmeier beleuchtet noch einmal scharf den Irrwitz dieser Situation. Was man im Norden verehre, werde im Süden abgelehnt und umgekehrt, konstatiert Sooja Lee, die Witwe von Isang Yun. „Aber mein Mann ist der einzige, der in Nord- und Südkorea anerkannt ist.“ Und nach Walter-Wolfgang Sparrer, einem ausgewiesenen Kenner seiner Musik, glaubte Yun zeitlebens daran, dass er mit seiner Musik eine Brücke zwischen den verfeindeten Landeshälften bauen könnte.
Die Musik kennt keine Systemgrenzen
Der Film ist mehr als ein übliches Komponistenporträt. Er zeigt den postumen Umgang mit Person und Werk des Komponisten in beiden koreanischen Staaten vor dem Hintergrund des Alltagslebens. Militärische Disziplin schon bei den Kleinsten und auswendig gelernte Sprüche über Führer, Volk und Künstler auf der einen Seite, lachende Kinder und „westlich“ argumentierende Musiker mit interkultureller Kompetenz auf der anderen. Dreißig Meter hohe Führerstatuen mit einem Blumenmeer zu ihren Füssen nebst blitzblanken U-Bahnschächten und Hochhäusern hier, amerikanisch anmutende Geschäftsstrassen und Grossstadtchaos dort.
Sobald es aber um die klingende Musik geht, verschwimmen die Systemgegensätze. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie wird sie mit der gleichen Hingebung gespielt, wenngleich auch hier die Perspektiven unterschiedlich sind: eine mehr abstrakte, auf performativ-musiksprachliche Aspekte gerichtete und eine, die den individuellen Ausdruck und die innere Kraft dieser Musik betont. Letzteres, wohlverstanden, ist die nordkoreanische Sicht. „Es ist zwar moderne Musik, aber mit einem durch und durch humanistischen Ansatz“, sagt die Cellistin des aus erstklassigen Interpreten bestehenden Isang-Yun-Ensembles aus Pjöngjang.
Der Film rückt sachte einige vorgefasste Meinungen zurecht. Beim Blick unter die propagandistische Oberfläche erweisen sich auch die Nordkoreaner nur als ganz normale Menschen, und einmal mehr wird deutlich, dass Musik sich nicht einseitig politisch vereinnahmen lässt.
Isang Yun. In Between North and South Korea. Filmdokumentation von Maria Stodtmeier. Accentus ACC 20208 (1 DVD)
Printversion: NZZ vom 29.10.2016