Was macht eigentlich ein Verleger? Ein altes Musiker-Bonmot lautet: Er verlegt die Partitur, so dass sie keiner mehr findet. Das witzige Wortspiel bezeichnet genau den Gegenstand, um den es bei einem Musikverlag geht: die Partitur. Sie ist das Resultat der geistigen Arbeit des Komponisten, und der Musikverlag hat die Aufgabe, sie auf den Markt und damit die Musik zu Gehör zu bringen. Daran hängt ein ganzer Rattenschwanz von Arbeitsschritten: Herstellung von Druckausgabe und spielbarem Notenmaterial, Korrekturen, Katalogisierung, Werbung, Rechtewahrnehmung und schliesslich das, was in jedem Verleger Sonntagsgefühle hervorruft: das Inkasso. Der Verleger als jemand, der mit dem geistigen Eigentum anderer Geld verdient – das geht nicht allen so leicht in den Kopf. Aber das ist das Geschäftsmodell des Musikverlags, seit es ihn gibt, und das sind inzwischen fünfhundert Jahre.
Der erste Musikverleger im heutigen Sinn war Ottaviano Petrucci in Venedig. Den Namen kennt man heute meist nur noch vom Internetportal, wo man Partituren, deren Rechte abgelaufen sind, gratis herunterladen kann. Petrucci erfand um 1500 den Notendruck mit beweglichen Metalltypen, was das Verfahren für die Serienproduktion geeignet machte. In drei Arbeitsschritten wurden zuerst die Notenlinien, dann der Text und schliesslich die Musiknoten gedruckt. Doch Petrucci war nicht nur ein vorzüglicher Handwerker, sondern auch ein rechnender Kaufmann. Für seine Produkte musste er das Geld vorlegen, in der Hoffnung, dass es wieder hereinkam – aus diesem «Vorlegen» entstand die deutsche Berufsbezeichnung Verleger und der Begriff Verlag. Petrucci arbeitete also nach dem Prinzip der spekulativen Gewinnerwartung, was ihn zu einem Modellfall für die frühbürgerliche kapitalistische Produktionsweise macht.
Frühe Blütezeiten des Notendrucks
Petrucci hatte eine gute Nase für den Markt. Seine erste Produktion von 1501 unter dem Titel „Harmonice Musices Odhecaton“ war eine Sammlung von mehrstimmigen Chansons, einer damals sehr populären Gattung.
Ein Jahr später folgte eine Ausgabe mit Messen des damals berühmtesten Komponisten, Josquin Desprez. Sie erfuhr gleich drei Auflagen. Petrucci fand bald Nachahmer in allen wichtigen Zentren Europas. Führender Verleger in Paris war Pierre Attaingnant, der ab 1528 mehr als fünfzig Sammlungen von Chansons veröffentlichte, mit Auflagen von tausend und mehr Exemplaren. Attaingnant erfand auch eine neue Drucktechnik, bei der Notenlinien und Notenköpfe in einem Arbeitsgang gedruckt werden konnten. Sie wurde bis ins 17. Jahrhundert hinein praktiziert.
Mit dem Aufkommen der bürgerlichen Hausmusik und der Kammermusik – der Musik in der fürstlichen Kammer – brachen für den Notendruck goldene Zeiten an. Zahllose Sammelbände mit Instrumentalmusik wurden veröffentlicht. Ein berühmtes Beispiel ist das englische „Fitzwilliam Virginal Book“ aus der elisabethanischen Epoche um 1600. Es enthält 297 Stücke, meist Tänze aller Sorten oder Adaptionen von Vokalsätzen führender Komponisten, geschrieben für das Tasteninstrument Virginal. Voraussetzung für das einträgliche Geschäft des Notendruckers resp. Verlegers war allerdings ein sogenanntes Druckprivileg, und das erhielt er vom Fürsten oder – Beispiel Venedig – von der Stadtrepublik nur gegen viel Geld oder Beziehungen oder gegen beides. Doch wenn der Verlag es einmal hatte, besass er eine Monopolstellung.
Das 18. Jahrhundert: Gründerzeit der Klassikverlage
Mit dem Aufkommen der Orchestermusik und der Ausbreitung der italienischen Oper über ganz Europa war der Notendruck spätestens ab dem frühen 18. Jahrhundert aus dem Musikleben nicht mehr wegzudenken. Der Verleger wurde zum unverzichtbaren Mittler zwischen Komponist und Publikum; ohne ihn kam die Musik nicht zum Erklingen, ausser man spielte vom Manuskript. Von den Verlagen sogenannt Ernster Musik, die nun in enger Verbindung mit dem wachsenden bürgerlichen Musikleben entstanden, existieren manche bis heute.
Breitkopf & Härtel, gegründet 1719 in Leipzig, rühmt sich, der älteste von ihnen in Deutschland zu sein. 1770 wurde Schott in Mainz gegründet. Er verdankt seinen Aufstieg nicht zuletzt dem genau gleichaltrigen Beethoven – er verlegte unter anderem die Neunte und die Missa solemnis. Dann kam Richard Wagner mit dem „Ring“, den „Meistersingern“ und „Parsifal“, wobei der für seine exorbitanten Vorschuss- und Honorarforderungen berüchtigte Wagner den Schott-Verlag an den Rand des Abgrunds brachte. «Je dicker die Werker, desto dünner wird der Strecker», lautete der ironische Kommentar des späteren Geschäftsführers Willy Strecker.
Ein Jahrhundert später zirkulierte unter den Komponisten ein Schüttelreim, der nicht minder witzig war: «Am Weihergarten die Geier warten.» Die Mainzer Adresse des Schott-Verlags ist Weihergarten 5. Solche Sprüche beleuchten das stets spannungsreiche Verhältnis von Verlag und Komponist. Weil beide voneinander abhängig sind, gehen sie eine Art Vernunftehe ein. Man liebt sich zwar nicht, aber man neckt sich wenigstens.
Im 20. Jahrhundert: Krise des Verlagswesens
In Italien wurde im 19. Jahrhundert Ricordi zum führenden Musikverlag. Als Sachwalter der Werke von Rossini über Paganini und Donizetti bis Verdi und Puccini galt er lange als Hüter der italienischen Musik schlechthin. Seine Geschichte als nationales Traditionsunternehmen fand 1994 mit dem Verkauf an Bertelsmann ein Ende, was in Italien einen Entrüstungssturm auslöste. Die Zeitung „La Repubblica“ schrieb: «Was die deutschen Wehrmachtsstiefel nicht zustandebrachten, das gelang jetzt Bertelsmann.» Gemeint war die «Enteignung» des italienischen Kulturerbes. Bertelsmann zerlegte den Verlag und reichte die Restbestandteile später an den US-Konzern Universal Music weiter.
Ricordi ist das prominenteste, aber nicht das einzige Beispiel eines Traditionsverlags, der im Zuge der durch das Internet ausgelösten Krise von einem internationalen Medienmulti geschluckt wurde. Sein Aufstieg hatte 1814 begonnen. Damals wurde der Gründer Giovanni Ricordi von der Mailänder Scala beauftragt, die Materialien für Opernaufführungen herzustellen. Bald hatte er eine Idee, die bis heute gängige Verlagspraxis ist: Er verkaufte das Notenmaterial nicht, sondern vermietete es nur. Damit konnte er es mehrfach einsetzen und jedes Mal wieder Mietgebühren verlangen, was dank der Popularität der italienischen Oper eine einträgliche Sache war. Heute ist das Mietgeschäft in Verbindung mit den daran hängenden Aufführungsrechten eine bedeutende Einnahmequelle für Verlage. Den Ertrag teilen sie mit den Komponisten nach einem vertraglich ausgehandelten Prozentsatz; er schwankt je nach dessen Marktwert und ist ein gut gehütetes Unternehmensgeheimnis.
Wandel der Rechtsverhältnisse
Das Geschäftsmodell folgte jahrhundertelang dem Vorbild Petrucci: Einnahmen generieren aus dem Verkauf von Notendrucken. Das werthaltige Objekt, mit dem gehandelt wurde, war somit eine rein materielle Grösse. Immaterielle Werte – Stichwort Autorenrechte –, die heute das Gros der Einkünfte von Verlagen und Komponisten ausmachen, gab es damals noch nicht. Das Verhältnis des Verlegers zum Komponisten war ungeregelt. Bestenfalls kaufte er ihm die Partitur und damit das Recht zum Druck und zur Verbreitung des Werks für eine ausgehandelte Summe ab. Unbezahlte Veröffentlichungen – das, was man heute Raubdruck nennt – waren aber an der Tagesordnung, vor allem bei Nachdrucken durch andere Verleger. Noch Beethoven, selber ein guter Geschäftsmann, bemühte sich nach Kräften, solche Schwarzkopien zu verhindern.
Der Begriff des geistigen Eigentums kommt erst im 18. Jahrhundert auf, und ein darauf aufbauendes Urheberrecht nahm erstmals 1886 mit der sogenannten Berner Übereinkunft eine international verbindliche Gestalt an. Das europäische Urheberrecht besagt, dass die Rechte des Autors an seinem Werk unveräusserlich sind und erst siebzig Jahre nach seinem Tod erlöschen. In den USA kann der Autor seine Rechte – man spricht hier von «Copyright» – an einen Verlag, einen Film- oder CD-Produzenten verkaufen. In Europa geht das nicht. Er kann aber die Verwertung der Rechte einem Musikverlag übertragen. Dieser meldet die Werke wiederum bei einer Verwertungsgesellschaft an – Sacem, Gema, Suisa etc. –, die die Erträge aus Konzertaufführungen und Medienübertragungen kollektiv sammelt und anteilig an Komponist und Verlag überweist. Der Musikverlag kümmert sich um die Bühnenrechte – das sogenannte Grosse Recht – und die sonstigen Einnahmen. Der rechtliche Rahmen für diese Geschäftsbeziehung wird durch das jeweilige nationale Verlagsrecht festgelegt.
Massgeblich zu einer geordneten Form der Autorenvergütung beigetragen hat Richard Strauss. Er war 1903 treibende Kraft bei der Gründung der «Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht», einer Vorläuferorganisation der heutigen Gema. Autorenhonorare, auch die eigenen, lagen ihm am Herzen, und als Künstler leistete er sich einige Jahre später den Spass, zusammen mit dem Textautor Alfred Kerr unter dem Titel „Krämerspiegel“ einen satirischen Liederzyklus über die „Geldsackpfleger“ in den Verlagen zu verfassen. In den für den Verlag Bote und Bock geschriebenen Liedern klopft der Bock als Bote beim Künstler an die Tür, und über die Mainzer heisst es: „Unser Feind ist, grosser Gott, wie der Brite so der Schott.“
Der Feind? Natürlich ist das humoristisch gemeint. Welcher Komponist möchte es mit dem nützlichen Dienstleistungsunternehmen namens Musikverlag schon verderben – falls er überhaupt zu den Glücklichen gehört, die einen haben.
Die Printversion ist erschienen unter dem Titel „Die alte Ballade von Geld und Geist“ in der Schweizer Musikzeitung Nr. 3, März 2021.
siehe auch: 1oo Jahre Bärenreiter