Noriko Kawakami, die 1987 von Japan nach Europa kam und zuerst bei Klaus Huber, dann bei Nicolaus A. Huber studierte, hat im kulturellen Spannungfeld zwischen Ost und West zu ihrer eigenen Musiksprache gefunden. Es ist die Sprache einer starken Persönlichkeit. Ihr Zugriff auf das Material verrät eine klare Vorstellung vom Klang und seiner Dramaturgie, der exquisite Farbenreichtum trägt zum Eindruck einer hohen, von kreativer Energie gesteuerten Ereignisdichte wesentlich bei. Fließende Strukturen wechseln sich ab mit extremen Kontrasten, dramatische Zuspitzungen werden plötzlich unterbrochen durch die statische Exposition von vertrauten musiksprachlichen Versatzstücken; die Vertrautheit erweist sich indes als trügerisch – durch den vorgegebenen Kontext fallen sie der Verfremdung anheim. Die Inspiration für ihre musikalischen Einfälle holt sich die Komponistin bei Baudelaire, Chagall und Joyce, im körperhaften Zeitempfinden und in der sorgfältigen Modellierung der Ein- und Ausschwingvorgänge darf man den Einfluss fernöstlicher Kunstpraktiken vermuten. Auf die Kammermusikwerke, die Noriko Kawakami für diese CD ausgewählt hat, trifft der Begriff „durchgearbeitet“ zu, im alten beethovenschen Sinn der handwerklichen Beherrschung und geistigen Durchdringung des Materials. Heute, da die meisten Komponisten gern mit der Hurtigruten unterwegs sind, ist das ein erfreuliches Zeichen. (Neos)
Eine leicht veränderte Fassung ist in MusikTexte Nr. 169 erschienen.