Porträt José Luis de Delás

José Luis de DelásAm 28. März 2018 wird José Luis de Delás 90 Jahre alt. Der spanische, in Barcelona geborene Komponist studierte ab 1949 zunächst in München und kehrte 1957 nach einigen Jahren Heimataufenthalt endgültig nach Deutschland zurück. Heute lebt er in der Nähe von Köln, der Stadt, in der er jahrzehntelang gewohnt und gearbeitet hat.

Die Musik von José Luis de Delás besitzt die charakteristischen Merkmale eines in der Emigration entstandenen Schaffens. Auch während der faschistischen Herrschaft unter General Franco, die erst 1975 endete, hatte er die Kontakte zu seiner Heimat nie verloren. Aus seinen Werken spricht ein unaufdringliches, in den musikalischen Tiefenschichten verankertes Bekenntnis zu den lange unterdrückten humanistischen Traditionen Spaniens.

Die Musik von José Luis de Delás kommuniziert direkt und offen mit dem Hörer, ohne sich je anzubiedern. Unter der kohärenten Klangoberfläche herrscht eine untergründige Unruhe, doch kommt nie Hektik oder gar Exzentrik auf. Es dominieren sorgfältig durchgearbeitete Texturen und subtil ineinanderfließende Klangfarben. Licht und Schatten, Poesie und Realitätsbezug stehen in diesen delikaten Klangbildern im Gleichgewicht.

Ein besonderes Merkmal sind die offenen und versteckten Querverbindungen zu Literatur und bildender Kunst; zu den Künstlern und Literaten in Barcelona hatte de Delás enge Verbindungen. Wo sich seine Musik auf das Feld politischer Aussagen hinauswagt, erscheinen diese nie in plakativer Form, sondern sind eingebunden in den kompositorischen Kontext. Manchmal wird Sprache auch nur als assoziatives Mittel eingesetzt, wie etwa im Ensemblestück „Denkbild – Kurze Schatten“ von 1977 die Textfragmente von Walter Benjamin; sie werden nicht gesprochen, sondern sollen den Ausführenden als Inspirationsquelle dienen und von ihnen  nur mitgedacht werden. Man kennt das Verfahren auch aus dem drei Jahre später entstandenen Streichquartett von Luigi Nono.

Charakteristisch für die Situation eines künstlerischen Emigranten: Mit seiner mediterranen Ästhetik ist José Luis de Delás in seiner Wahlheimat Deutschland eher ein Außenseiter geblieben. Viele seiner Kompositionen sind jedoch vom WDR Köln produziert worden. Zu den Musikern, die sich für seine Musik besoJosé Luis de Delás, Musik-Konzeptenders eingesetzt haben, gehört der Dirigent Arturo Tamayo. Rainer Riehn und Heinz-Klaus Metzger brachten 1992 in ihrer Reihe „Musik-Konzepte“ einen Band über ihn heraus, der 2000 in erweiterter Form auch auf Spanisch in einer Edition der Universität Alcalá erschien.

Der nachstehende Text ist das leicht veränderte Manuskript einer Sendung vom 11.4.1979 für den Deutschlandfunk Köln (Redaktion Reinhard Oehlschlägel). Der Wortlaut der zahlreichen Originaltöne und die Musikbeispiele sind leider nicht mehr vorhanden.

Am Ende der Seite befindet sich außerdem der Link zu einer Sendung, die zum 80. Geburtstag des Komponisten am 27.3.2008 im Bayerischen Rundfunk (Redaktion Helmut Rohm) ausgestrahlt wurde. Hier kann man in den Interviewteilen auch die Stimme von José Luis de Delás hören.

Porträt José Luis de Delás (Deutschlandfunk Köln, 1979)

Am Werk von José Luis Delás, Spanier mit Jahrgang 1928, lässt sich beispielhaft aufzeigen, wie wenig brauchbar eine Betrachtungsweise ist, die den Grad der Innovation zum Hauptkriterium für die Beurteilung einer Komposition macht, und dass ein Komponist, auch wenn Innovationsfragen für ihn sekundär sind, trotzdem die historische und künstlerische Wahrheit auf seiner Seite haben kann.

José Luis de Delás kommt aus einem Land, das vom übrigen Europa geografisch durch die Pyrenäen getrennt ist und bis vor wenigen Jahren durch ein faschistisches Regime in seiner politischen und kulturellen Entwicklung zusätzlich zum Alleingang gezwungen war. Eine solche Herkunft färbt ab: Die Prämissen in seinem Werk sind zumindest teilweise andere als die eines bundesdeutschen Komponisten, auch wenn die meisten seiner Stücke in der Bundesrepublik entstanden sind. Er lebt nun, mit einigen Jahren Unterbrechung, schon fast drei Jahrzehnte außerhalb Spaniens, die meiste Zeit davon in Köln. Die Frage, ob er sich mehr als Deutscher oder als Spanier fühle, beantwortet er ohne zu zögern: „Natürlich absolut als Spanier!“

Die Ausrichtung auf die europäischen Traditionen ist das Erbe der spanischen Intelligenz aus den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts: des Dichterkreises um Rafael Alberti und Federico García Lorca, von Malern wie Picasso und Miró, des Komponisten Manuel de Falla. Sie alle verbanden die Öffnung Spaniens nach Europa mit einer bewussten Anlehnung an genuin spanische Traditionen und führten so die spanischen Künste in der Zeit vor Franco zur Weltgeltung. Barcelona, die Geburtsstadt von de Delás, war damals ein Zentrum europäischer Kultur.

Die Einheit von spanischem und europäischem Denken – eine Einheit, die für die fortschrittliche spanische Intelligenz in unserem Jahrhundert stets eine Lebensnotwendigkeit war – zeigt sich in den Werken von de Delás nicht nur in der Musik, sondern vor allem auch in den Texten, die er benutzt. Er ist ein Komponist, der sich seine Anregungen aus allen Kunstsparten holt.

Seine ersten Kompositionen, drei Lieder für Singstimme und Klavier, schrieb er über Texte von Juan Ramón Jiménez, einem der Begründer der neuen spanischen Literatur, und Antonio Machado. Damals war er achtzehn Jahre alt. Ein Jahr später folgten wiederum Lieder, diesmal über Gedichte von Rilke, Hesse, Verlaine und Rimbaud, und 1957 vertonte er in zwei Gesängen für Sopran und sechs Instrumente Texte von Jiménez und Miguel Hernández. Der republikanische Dichter Hernández wurde 1940 zum Tode verurteilt, aufgrund internationaler Proteste begnadigt und starb 1942 mit zweiunddreißig Jahren an den Folgen der Haft in Francos Gefängnissen. Sein Name taucht auch in einer der neuesten Kompositionen von de Delás wieder auf: in „Memoria“ für Sopran, Chor und Orchester, uraufgeführt 1977 in Köln am WDR. Das Stück basiert auf einer Montage von Textfragmenten von Hernández, Rimbaud, Mörike, des Katalanen Joan Brossa und von Erich Mühsam, ermordet 1934 im KZ Oranienburg. Dazu kommen Wandinschriften und Losungen der Pariser Studentenrevolte vom Mai 1968.

Seine Vorliebe für Literatur bekam de Delás aus dem Elternhaus mit. Väterlicherseits stammt er von altem kastilischem Landadel ab, seine Mutter war halb Aragonesin, halb Katalanin. In Barcelona, wo er aufwuchs, studierte er zuerst Jura und nahm Unterricht in Geige und Musiktheorie am Konservatorium. Als er sich dann ganz auf die Musik konzentrierte, beschloss er, ins Ausland zu gehen. Es gab zwar in Barcelona bescheidene, privat geförderte Möglichkeiten zu Aufführungen neuer Musik, bei denen sich de Delás als Dirigent engagierte; doch in dem politischen Klima konnte er sich als Komponist nicht in gewünschter Weise entwickeln.

In den Konzerten, die de Delás in Barcelona dirigierte, bevor er 1957 endgültig das Land verließ, erklangen zahlreiche Stücke von Stockhausen, Berio, Henze, Nono, Karl Amadeus Hartmann und anderen zum ersten Mal in Spanien. Die Konzertreihe hieß „Música oberta“ (Offene Musik). Geleitet wurde sie vom katalanischen Komponisten Josep Maria Mestres Quadreny, organisiert von Joan Prats, einem begeisterten Kunstfreund, und finanziert ausschließlich von privater Seite.

1957 übersiedelte José Juis de Delás erst nach Aachen und bald darauf nach Köln, das seither sein Dauerwohnsitz ist. In den ersten Jahren komponierte er hier in bedächtigem, aber regelmäßigem Rhythmus. Ab 1963 entstand im Durchschnitt ein Werk pro Jahr – Kammermusik für kleines Ensemble und Solostücke für Klavier und Harfe –, und gegen 1970 kamen, als Resultat seiner Arbeit im Elektronischen Studio in Utrecht, Tonbandkompositionen dazu. In vielen neueren Stücken spielt das Wort eine große Rolle, obwohl es nicht unbedingt Vokalkompositionen sind. Die Verbindung von begrifflichen und klanglichen Vorstellungen geschieht vielmehr durch Assoziationen, wobei in diesem Verschmelzungsprozess neben literarischen Vorlagen auch solche aus der bildenden Kunst von Bedeutung sind.

Über den Umweg von anderen künstlerischen Vorlagen wird somit Realität in einer doppelten Brechung, als Abbild des Abbildes, gespiegelt. Die subjektive künstlerische Verschlüsselung wird dadurch einerseits potenziert, andererseits versucht de Delás, der vieldeutigen Sprache der Musik durch diese „Bebilderung“ im Sinne Walter Benjamins einen präziseren Ausdruck abzugewinnen. In jedem Fall handelt es sich jedoch um höchst komplexe psychische Vorgänge, mehr der freien Assoziation verwandt als dem illustrativen Prinzip der Programmmusik gehorchend.

Die Komposition „Denkbild – Kurze Schatten“ entstand im Jahr 1977. Sie ist, wie die meisten jüngeren Werke von de Delás, für solistisch besetztes Kammerensemble geschrieben. Die Besetzung umfasst G-Flöte, Bassklarinette, Fagott, Schlagzeug, Gitarre, Viola und Cello. In der Partitur wechseln minutiös auskomponierte Passagen mit solchen, in denen die Spieler durch grafische Notation oder bloße Angabe des Tonvorrats zur gelenkten Improvisation angehalten werden.

Zur Notation treten in diesen aleatorisch freien Stellen Zitate von Walter Benjamin. Sie sind, in verschieden große Satzbestandteile zerlegt, den Improvisationsanweisungen für die einzelnen Instrumente beigegeben. Als begriffliche und metaphernreiche Stimuli sollen sie die rein musikalischen Verläufe in Struktur und Ausdruck präzisieren. Im ersten der insgesamt fünf improvisierten Einschübe heißt der Text:

„Im Traum hatte ich eine Landstraße im dunkelsten Dämmerlicht vor mir… der Sonnenball nebelweiß und ohne alle Strahlungskraft… unabsehbare Folge von Zeichen… ein ganzes, unsäglich veränderliches, flüchtiges Schwingengeflecht… Nachts bilden die Laternen in seinem samtenen Innern Sternbilder, die noch keinen Namen haben.“

Es besteht kein Zweifel, dass die in den Notentext hineingeschriebenen Textfragmente die Fantasie der Spieler zu beflügeln und die relativ abstrakten Notenzeichen assoziativ mit Gefühlsinhalten aufzuladen vermögen. Besonders wenn es sich um eine so bilderreiche Sprache wie die Walter Benjamins handelt. Insofern fordert de Delás von den Interpreten, was er selbst als Komponist leistet: eine intensive und nicht nur rationale, sondern auch emotionale Auseinandersetzung mit der Textvorlage. Damit wird auch der gedankenlosen Reproduktion von Improvisationstopoi, die jedem Spieler im Kopf und in den Fingern stecken, ein Riegel vorgeschoben.

Voraussetzung ist allerdings, dass die Musiker bereit und in der Lage sind, die Texte überhaupt in ihrer Komplexität und poetischen Tiefe wahrzunehmen, gedanklich zu verarbeiten und in Klangvorstellungen umzusetzen. Die Musiker des Kölner Ensembles „trial and error“, die das Stück aufgenommen haben, scheinen sich dieser Anstrengung bereitwillig unterworfen zu haben. Atmosphärisch gut getroffen ist jedenfalls der Abschnitt mit diesem Text:

„Die sonnenzerfressene Landschaft… Dies Schwirren oder Summen ist die Schwelle… dem leisesten Geräusche, einem Murmeln, dem Flug eines Insekts… den ein aufmerksameres, schärferes Ohr gar nicht vernommen hätte…“

Innerhalb eines Jahrzehnts schrieb de Delás drei Werke mit ähnlicher Besetzung: „Eilanden“ für 10 Instrumente und Tonband (1967/68), „Cinco sellos“ für 9 Instrumente und Tonband (1972) und „Conjuntos“ für 11 Instrumente und Tonband (1976). In dieser Abfolge lässt sich eine deutliche Bewegung in Richtung semantischer Konkretisierung und geschärftem Espressivo beobachten.

Während „Eilanden“ noch artifizielle, feinzisielierte Stimmgewebe und ein beinahe traumhaftes Ineinander von Instrumentalklängen und Tonbandgeräuschen aufweist, stößt „Cinco sellos“ mit dem Tonbandpart in den Bereich der Zitatenmontage vor. In der vierten Einspielung vom Band ertönt plötzlich eine Reihe von Liedern und Märschen; grundiert wird das Ganze durch das dumpf grollende Stimmgewirr einer erregten Menschenmenge. Der Titel „Cinco sello“ heißt auf Deutsch „Fünf Siegel“, nach einer Erzählung von Fernando Arrabal aus dem Band „Celebrando la ceremonia de la confusión“. Die Inspiration durch die düsteren Visionen Arrabals verbindet sich hier mit der Empörung des Komponisten über die politischen Zustände in seiner Heimat. Herausgekommen ist ein bekenntnishaftes Proteststück für den Konzertsaal.

Vier Jahre nach dieser Komposition, 1976, bricht de Delás in „Conjuntos“ – auf Deutsch „Verbindungen“, „Ensembles“ – die ästhetische Geschlossenheit noch mehr auf. Das Stück blickt zurück auf die gerade zuende gehende Zeit der Franco-Diktatur, die  kurz vor ihrem Ende mit der Hinrichtung von Regimegegnern noch einmal auf sinnlose Weise ihre Macht demonstrierte. Im Instrumentalpart sind politische Lieder, die eine Art Signalcharakter besitzen, motivisch verarbeitet und in die dichte Polyphonie hineingeflochten. Das Ausdrucksbedürfnis ist noch stärker geworden und bricht sich manchmal auf vehemente Art Bahn. Der Tonbandpart erhält ebenfalls mehr Gewicht; gegen Schluss ist ihm sogar eine fast fünfminütige Kadenz vorbehalten, in der die Instrumente schweigen. Man hört der Reihe nach ein italienisches, ein chilenisches und ein spanisches Lied, dann ertönt die Stimme von Rafael Alberti, der über Neruda spricht, und schließlich die Stimme der Witwe des chilenischen Sängers Victor Jara, der beim Putsch gegen Salvador Allende 1973 umgebracht wurde.

Der Bezug auf Chile mit Lied- und Textzitaten in diesem Stück, das aus der Erregung über Franco-Spanien heraus entstanden ist, hat für de Delás, der die politische Entwicklung in Lateinamerika aufmerksam verfolgt, gute Gründe: Er sieht Parallelen in der Geschichte der Unterdrückung in Spanienhzu derjenigen in Lateinamerika. Das Stück endet mit einem Abgesang in der Art einer Trauermusik.

Max Nyffeler

Sendung zum 80. Geburtstag von José Luis de Delás (2008) (76 MB, mit Musikbeispielen und Interview-O-Tönen)
Das Passwort kann auf der Kontaktseite angefordert werden.

 


Das Ensemblestück „Imago“, dirigiert von Arturo Tamayo

 

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