In seiner alten Heimat Deutschland geriet Samuel Adler beinahe in Vergessenheit. Doch in jüngster Zeit taucht sein Name wieder da und dort in den Konzertprogrammen auf. Im Konzerthaus Berlin erklangen zu seinem 90. Geburtstag 2018 einige seiner Werke, und in der Mediathek des Deutschlandfunks (DLF) findet man eine Porträtsendung über ihn aus dem Jahr 2021. Damals war er 93 Jahre alt und hatte gerade seine siebte Sinfonie vollendet. Er schrieb sie ohne Auftrag, „just for myself“. Uraufgeführt wurde sie 2022 in Frankfurt/Oder vom Brandenburgischen Staatsorchester, das schon seine Sinfonien Nr. 1 und 2 sowie ein Klavier- und ein Violinkonzert auf CD veröffentlicht hat (LINN Records).
Nach der Reichspogromnacht 1938 emigriert
Samuel Adler wurde am 4. März 1928 in Mannheim geboren. In der DLF-Sendung erzählt er, wie er schon als Kind Geige spielte und mit seinen Eltern – sein Vater war Kantor an der Mannheimer Synagoge – nach der Reichspogromnacht 1938 in die USA flüchtete. Hier wurde er Schüler von Paul Hindemith, Walter Piston und Aaron Copland, und als Gründer und Dirigent des Sinfonieorchesters der Siebten US-Armee tourte er nach dem Zweiten Weltkrieg durch Trümmer-Deutschland. In der neuen Heimat unterrichtete er an den Universitäten in Texas und Rochester sowie an der Juillard School und komponierte über 500 Werke für alle Gattungen, darunter auch funktionale Musik für Schulen und liturgische Musik.
Eine energiegeladene Musik
Eine in den USA produzierte und in England veröffentlichte CD beleuchtet einige Stationen seines Kammermusikschaffens; das älteste Werk ist die Violinsonate von 1956, das neueste das 2014 entstandene zehnte Streichquartett. Samuel Adler schreibt eine sprachmächtige, weltzugewandte Musik, aktiv, energiegeladen und herausfordernd für das Hören; subjektiver Ausdruck und konstruktives Denken ergänzen sich auf überzeugende Weise. Der Musikwissenschaftler Jürgen Thym, Adlers emeritierter Ex-Kollege von der Eastman School of Music an der Rochester University, hat dazu ein informatives Begleitheft geschrieben.
Die CD dokumentiert ein individuelles Kapitel der schicksalshaften deutsch-jüdischen Emigration. Darüber hinaus gibt sie einen guten Einblick in die so anders gelagerte amerikanische Musikpraxis, deren europäische Wurzeln hier gleichwohl nicht zu überhören sind. Die Musik von Samuel Adler wäre ein interessanter Fall auch für unsere Interpreten.
Samuel Adler: Chamber and instrumental Music. Toccata Classics, TOCC 0624 (2021)
Dieser Text ist die erweiterte Fassung einer CD-Rezension aus der Zeitschrift MusikTexte Nr. 175/2022, S. 95.
English version
siehe auch das Porträt von Samuel Adler