György Kurtág ist inzwischen über neunzig Jahre alt und schreibt unverdrossen weiter seine Musik. Gegenwärtig ist er an seiner ersten Oper nach Beckett für die Salzburger Festspiele. Eine Beckett-Vertonung, „What Is The Word“, enthält auch die hochkarätige Edition mit dem gesamten Chorschaffen und weiteren Vokalkompositionen, an der vier Solisten, der Niederländische Radiochor und das Asko/Schönberg Ensemble unter der Leitung von Reinbert de Leeuw beteiligt sind. Der Komponist, der die über mehrere Jahre sich erstreckende Produktion begleitete, bezeichnet die Aufnahmen als „authentisch“.
Die Werke überspannen eine Schaffensphase von einem halben Jahrhundert und führen den Hörer ins Zentrum von Kurtágs Schaffen. Die älteste Komposition, die „Vier Capriccios“ für Sopran und Ensemble, entstand zwischen 1959 und 1970 und wurde 1993 revidiert – ein für den skrupulös arbeitenden Komponisten typisches Verfahren. Das jüngste Werk ist „Colindă-Baladă“ von 2010; in dieser archaisch strengen Musik für Tenor, gemischten Chor und Ensemble taucht der Komponist in die rumänische Volkskultur des Banat, seiner Heimat, ein. Neben der Beckett-Vertonung ist es die einzige Komposition, die einem längeren Text linear folgt.
Alle anderen besitzen die für György Kurtág charakteristische Form von zyklisch geordneten Miniaturen. Es sind geschliffene Kleinode, die sich mit ihren formalen Asymmetrien und emotionalen Ausbrüchen auf kleinstem Raum vom einstigen Vorbild Webern weit entfernt haben. Das Hören wird zu einem permanenten Abenteuer, zumal die Musik den Texten geradezu erschreckende Ausdruckswerte abgewinnen kann, so etwa in den gespenstischen „Vier Liedern auf Gedichte von János Pilinsky“ oder in den expressiven Chorsätzen der „Lieder der Schwermut und Trauer“ über Texte russischer Autoren. Der sprachliche Ausdruck hat die Musik bis ins Mark infiltriert, was sich auch in den vier der Edition beigegebenen Instrumentalkompositionen zeigt. Kaum ein Komponist bringt die Töne so zum Sprechen wie György Kurtág.
György Kurtág: Complete Works for Ensemble and Choir. ECM 2505-07 (3 CD)
Eine leicht veränderte Version ist in der Opernwelt Nr. 2/2018 erschienen.