Aus dem fernen Kalifornien kommt die Aufzeichnung der in Europa praktisch vergessenen Oper „Die Vögel“, ein lyrisch-fantastischer Zweiakter von Walter Braunfels (1882-1954). Nach der Münchner Uraufführung 1920 unter Bruno Walter erzielte das Werk große Erfolge, doch dann ist die Geschichte darüber hinweggegangen. Das hat nicht nur mit der Ächtung des Komponisten durch die Nazis und der damit gebrochenen Rezeptionsgeschichte des Werks zu tun, sondern wohl auch mit der prononciert konservativen Haltung – dem Versuch, mit einer an Wagner und Strauss orientierten Musiksprache noch einmal die Welt der alten Märchenromantik heraufzubeschwören. In seinem Beharren auf den Positionen einer spätbürgerlichen Ästhetik, die im Ersten Weltkrieg untergegangen war, stand Walter Braunfels nach dem zweiten Krieg drei Jahrzehnte später auf ähnlich verlorenem Posten wie Hans Pfitzner, ein anderer Konservativer der Weimarer Republik.
Von der Komödie „Die Vögel“ von Aristophanes übernimmt das von Walter Braunfels selbst verfasste Libretto nur den Handlungsrahmen. Die satirisch-gesellschaftskritischen Elemente in der antiken Vorlage bleiben außen vor, an ihre Stelle tritt die Sehnsucht nach der unentfremdeten Natur und die Suche nach der blauen Blume der Romantik. Das musste nach 1945 scheitern, zumal die Musik sich allzu oft quasisinfonisch ausbreitet, was den Fortgang der Handlung lähmt. Doch ist die Partitur reich an Farben, und so gelingen Braunfels immer wieder stimmungsvolle Momente. Vor allem die zentrale Figur der Nachtigall (Désirée Rancatore) verströmt mit ihren lyrischen Koloraturen atmosphärischen Zauber.
Die Los Angeles Opera setzte bei ihrem mutigen Wiederbelebungsversuch auf eine bilderbuchhafte Inszenierung mit einem knallbunten, fernsehgerechten Bühnenbild, in dem der Regisseur Darko Tresnjak seine Figuren leider meist nur hilflos herumstehen lässt. Offensichtlich wollte man bei dem unbekannten Werk szenisch auf Nummer sicher gehen, doch gerade damit wurde viel von einer möglichen Wirkung verschenkt. Durchaus gelungen ist dagegen die musikalische Seite. Auch wenn ein gewisser Wiedergängereffekt nicht abzustreiten ist: Die Ausgrabung ist nicht ohne Reiz.
Arthaus 101530 (Blu-ray)
Erweiterte Fassung einer DVD-Rezension aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 11.3.2011.
Dass DIE VÖGEL „in Europa praktisch vergessen“ sind, ist völliger Blödsinn. Nach vielbeachteten Inszenierungen in Köln, Wien, Genf oder Berlin, in Karlsruhe, Bremen, Cagliari (Italien), Freiberg oder Osnabrück gibt es aktuell jedes Jahr eine Neuinszenierung dieser wunderbaren Oper. 2019 bei den Festspielen in Erl (Österreich), 2020 im Münchner Nationaltheater, 2021 erneut in der Oper Köln, 2022 in Straßburg….
Sie brauchen mich wegen des Titels doch nicht anzublaffen. Wenn Sie genau lesen, werden Sie merken, dass das eine Wiederveröffentlichung von 2011 aus der NZZ ist. Ich weise darin auf eine Produktion hin, die wegen eines damals offenbar noch mangelhaften europäischen Interesses in den USA zustandekam. Dass die Oper inzwischen auch hierzulande öfters gespielt wird, freut mich wie Sie auch. Meinen bescheidenen Beitrag zu diesem Revival habe ich übrigens mit dieser Rezension und meinem Beitrag für das Opernmagazin der Münchner Staatsoper geleistet. Den Titel habe ich aber inzwischen etwas modifiziert.
Auch 2011 waren „Die Vögel“ in Europa nicht mehr „vergessen“.
Seit der ausgezeichneten CD der DECCA Reihe ‚Entartete Musik‘ 1996 wurden „Die Vögel“ immer häufiger aufgeführt.
Schade, dass die – viel besseren – Inszenierungen in Köln (1998), Wien (1999) oder Genf (2002) nicht aufgezeichnet wurden.
Leider auch nicht die grandiosen Inszenierungen von Yona Kim in Osnabrück (2014) oder Nadja Loschky in Köln (2021).
Dafür die saublöde, von der Presse verrissene Inszenierung von Frank Castorf am Münchner Nationaltheater und die abwegige Inszenierung von Ted Hufmann in Straßburg …
Dass ‚Die Vögel‘ nach 1933 nicht nur 12, sondern fast 50 Jahre lang nicht aufgeführt wurden, lag nicht nur an dem Verdikt der Darmstädter Schule, sondern auch an den vielen Altnazis in den Leitungen der Rundfunkanstalten und Opernhäusern.
So wurde in den 90er Jahren der Plan einer Neuinszenierung von August Everding (!) am Münchner Nationaltheater durch das Veto von Wolfgang Sawallisch (!) vereitelt. Sie hätte wohl schon vor drei Jahrzehnten ein viel größeres Revival der ,Vögel‘ ausgelöst ….